Sind Dolmetscher zu teuer oder zu billig?

Wolfgang Steinhauer hat Anfang des Jahres auf LinkedIn einen sehr guten und leicht nachvollziehbaren Beitrag dazu geschrieben, wie sich das Honorar von Dolmetschern zusammen setzt. Das kann ich so uneingeschränkt unterschreiben – und teilen!

Es herrscht ja eine große Kontroverse darüber, was ein Dolmetscher
kosten darf und sollte. Daher möchte ich heute einmal Licht ins Dunkel
bringen und anhand von ein paar Beispielen Aufwand und Kosten
gegeneinander aufrechnen.

Kurzeinsatz 1h (Pressekonferenz, Präsentation)

Sagen wir, es geht um eine Pressekonferenz. Sie dauert nicht länger
als 1 Stunde, oft auch nur 30 bis 45 Minuten, wenn die zu verhörenden
Manager oder Sportler noch andere Termine haben. Ein Dolmetscher, da es
sich um eine PK mit Sprechern und Presse aus verschiedenen Ländern
handelt. Der Dolmetscher oder die Dolmetscherin ist schnell gefunden und
verlangt dafür 400 EUR. Ist das zu teuer oder zu billig?

Arbeit + …

Recherche: Üblicherweise muss man sich auf Einsätze
vorbereiten, das erfordert immer Recherche. Ein Dolmetscher macht ja
nicht jeden Tag genau dasselbe beim selben Unternehmen wie die meisten
festangestellten Mitarbeiter. Wenn es sich um ein neues Fachgebiet oder
einen neuen Kunden handelt, dann ist dieser Rechercheaufwand relativ
hoch, wir sprechen hier etwa von einem halben Tag.

Wenn wir mit dem Kunden und dem Thema schon vertraut sind, würden
etwa 2 Stunden anfallen. Die Recherche umfasst die aktuellen
Neuigkeiten, evtl. wertvolle Kommentare von Journalisten und alles, was
seit dem letzten Einsatz passiert ist. Bei Events, wo Gäste aus
verschiedenen Ländern anwesend sind, muss man beispielsweise die
Recherche in den verschiedenen Sprachen durchführen, also die
entsprechenden Publikationen aus anderen Ländern miteinbeziehen.
Immerhin wird in verschiedenen Ländern auf verschiedene Dinge wert
gelegt, andere werden dagegen oft komplett ausgelassen.

Anfahrt: Dann haben wir die Anfahrt, was in den
meisten Fällen 1 Stunde ist, manchmal sogar mehr. (Wer wohnt schon 10
Minuten von einem Dutzend seiner wichtigsten Kunden entfernt?) Hier
sollte man die Rückfahrt nicht vergessen.

Verzögerungen + Briefing: Oft werden kleinere
Termine wie Pressekonferenzen, Interviews mit Politikern oder Beiträge
für das Fernsehen auch kurzfristig verschoben. Daher sollte man noch mit
einer Stunde Verzögerungen planen. Darüber hinaus ist man ja als Profi
schon 45 bis 60 Minuten vor dem Einsatz für das Briefing und die letzten
Instruktionen vor Ort.

Die eigentliche Arbeit: Schließlich findet unser
Event statt und dauert etwa 1 Stunde. Danach findet oft noch eine
Nachbesprechung statt, die wir hier aber einmal der Einfachheit halber
weglassen wollen.

Nachbereitung: Zuhause angekommen, folgt noch die
Nachbereitung. Diese beinhaltet Glossarpflege, festhalten, was man hätte
besser machen können, Lösungen für eventuell aufgetretene Probleme
finden, sich den verdolmetschten Beitrag noch einmal ansehen und
bewerten, Buchhaltung. Die entdeckten Schwachstellen sollten dann auch
abgestellt werden, was nochmal durchschnittlich mit 1 Stunde Übung zu
Buche schlägt. Eigentlich müssten wir hier noch die nicht-spezifische
Vor- und Nachbereitung nennen. Damit sind allgemeine Fortbildungen in
den Fachgebieten gemeint, Stimmtraining, technische Grundlagen,
Büromanagement, ergänzende Sprachen oder Fachgebiete lernen, in den
Arbeitssprachen auf dem Laufenden bleiben. Alles in allem müsste man
eigentlich nochmal 2 Stunden addieren, aber da diese nichts mit dem
eigentlichen Auftrag zu tun haben, wollen wir die hier mal weglassen.

Und hier ist das auftragsbezogene Ergebnis:

Vorbereitung 2 h
Anfahrt + Rückfahrt 2 h
Briefing 1 h
Verzögerung 1 h
Arbeit 1 h
Nachbereitung, Buchführung 2 h
Gesamte Arbeitszeit 9 h

Hier wird auch klar, warum so ein Einsatz von „nur einer Stunde“ so
viel kostet. Die Leute, die den Dolmetscher buchen, wissen das meistens
nicht und denken sich nur „Wenn ich 400 EUR die Stunde kriegen
würde…“.

Wenn wir jetzt den Stundenlohn anhand von drei geläufigen  Tarifen ausrechnen, dann kommen wir zu folgenden Ergebnissen:

300 EUR : 9 h =      400 EUR : 9 h =      450 EUR : 9 h =
33 EUR/h      44 EUR/h      50 EUR/h

Wenn ich daran denke, dass mein Automechaniker 60 EUR/h verlangt und
an den Ersatzteilen noch zusätzlich verdient, dann frage ich mich, warum
alle den Dolmetscher so teuer finden. Gehen wir zum nächsten
Rechenbeispiel über.

Tagessatz (Konferenz, Produktpräsentation)

In diesem Fall haben wir es mit einer längeren Arbeitszeit und mehr Vorbereitungsaufwand zu tun.

Vorbereitung 8
Anfahrt + Rückfahrt 2
Briefing 1
Arbeit 8
Nachbereitung 2
Gesamte Arbeitszeit 21 h

Hier ergeben sich folgende Stundensätze:

500 EUR : 21 h =      700 EUR : 21 h =      900 EUR : 21 h =
23,80 EUR/h      33 EUR/h      42,85 EUR/h

Eine zweitägige Konferenz macht in diesem Fall kaum einen
Unterschied, da die Vorbereitung der einzige Posten ist, bei dem
Einsparungen möglich wären. Sollte die Konferenz weiter weg stattfinden,
dann würden noch zusätzliche Kosten für die Anfahrt, Hotel und Spesen
anfallen.

Um zum Vergleich mit dem Automechaniker zurückzukommen: Wenn ein
Mechaniker einen Hausbesuch macht, dann kostet das auch mehr als 42,85
EUR pro Stunde, oder?

Der springende Punkt

Dann stellt sich noch die Frage, wie viel Verantwortung Sie ihrem
Dolmetscher übertragen, welchen Schwierigkeitsgrad und welche Bedeutung
dem Event zukommt und ob Sie jemandem, mit dem der Erfolg einer
Veranstaltung steht und fällt, tatsächlich nur 33 EUR pro Stunde zahlen
wollen.

Ich hoffe, ich konnte mit dieser Aufschlüsselung etwas Licht ins
Dunkel bringen und hoffe, damit auch einen Teil zur Verständigung
zwischen Auftraggeber und Dienstleister gegeben zu haben.

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