Eine Frage der Abrechnung

Vor etwa einem Monat hatte ich eine neue Kundin am Telefon, die dringend eine Menge Dokumente beglaubigt übersetzt brauchte, und dann auch noch mit Apostillen (Überbeglaubigungen) versehen, was einen Zwischenschritt beim für mich zuständigen Landgericht (also noch mehr Zeit) bedeutet.

Teilweise gab es die zu übersetzenden Dokumente noch gar nicht, teilweise gab es Scans. Nachdem es ja sehr dringend war, fing ich gleich nach der Auftragsbestätigung an, die Dokumente, die mit bereits digital vorlagen, zu übersetzen. Die Originaldokumente wurden dann in der folgenden Woche geliefert – darunter dann auch komplett andere als die ursprünglich genannten und als PDFs geschickten.

Nachdem das Chaos sich etwas gelichtet hatte und alles fertig und unterwegs zum Landgericht war, wurde deutlich, dass ich ein nicht ganz kurzes Dokument quasi umsonst übersetzt hatte.

Die Frage war nun: rechne ich das ab oder nicht?

Einerseits hatte es die Kundin ja ursprünglich beauftragt; dass sie es nun nicht mehr brauchte, war ja nicht mein Problem. Ich hätte die beglaubigte Übersetzung fertigstellen und direkt an die Kundin schicken können.
Ich bin mir auch sicher, dass sie anstandslos bezahlt hätte.

Andererseits war die ganze Sache von Anfang an sehr verwirrend, auch für die Kundin (was an den Behörden im Zielland lag, nicht etwa an mangelnder Organisation seitens der Kundin), sodass sich die angeforderten Dokumente ständig änderten. Dass ich letztendlich nur eines quasi zu viel übersetzt hatte, war also noch richtig gut.

Ich entschied mich schließlich, dieses Dokument nicht zu berechnen. Irgendwie hatte ich so ein Gefühl, dass sie es doch noch brauchen würden.

Und – ich sollte Recht behalten!

Letzte Woche schrieb die Kundin mir und fragte, ob ich das Dokument nicht vielleicht doch schon übersetzt hätte, weil sie es jetzt doch bräuchten. Tatsächlich waren es nun sogar nochmal 10 Seiten mehr, weil noch zusätzliche Unterschriften-Dokumente und Bescheinigungen an die beglaubigte Abschrift angefügt worden waren, aber zumindest hatte ich die Hälfte ja schon fertig. So konnte ich das Ganze also auch in der wieder sehr kurzen Frist fertigstellen und ans Landgericht schicken für die Apostille.

Hätte ich ursprünglich die erste Option genommen und das Dokument mit dem ersten Auftrag fertiggestellt und geschickt, hätte ich jetzt trotzdem nochmal eine neue, längere Version davon erstellen und ans Landgericht schicken müssen, und die Kundin hätte zwar eine beglaubigte, aber nicht für ihre Zwecke brauchbare Übersetzung gehabt.

Wenn die nachträgliche Beauftragung nicht gekommen wäre, hätte ich allerdings so zumindest meine geleistete Arbeit vergütet bekommen.

Aber letztendlich lag ich mit meinem Gefühl richtig.

Ja, es hätte auch anders ausgehen könnten. Aber selbst wenn sie das Dokument nicht mehr gebraucht hätten, ich also die Übersetzung zu viel gemacht hätte, wäre das in diesem Fall für mich in Ordnung gewesen, denn es war zwar kein ganz alltägliches, aber doch kein so ausgefallenes Dokument, dass ich es nie wieder bekommen könnte, und darüber hinaus gute Übung in einer Sprachkombination, die ich nicht so oft mache.

Win-win, würde ich sagen!

Falls so ein Fall wieder vorkommt, weiß ich allerdings nicht, ob ich mich wieder so entscheiden würde. Es kommt – wie so oft – immer darauf an…

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