Aktuelle Übersetzungsproblematik

Heute steht in der SZ ein sehr interessanter Kommentar zum Thema Übersetzen – und dessen Schwierigkeit bei den aktuellen Vorkommnissen (hier musste ich auch schon lange überlegen, wie ich das schreibe, ohne dass es allzu banal klingt?!) in den USA.
Jeder Übersetzer hat sich sicher schon mit ähnlichen Problemen konfrontiert gesehen – schön, dass es mal “von außen” so gut auf den Punkt gebracht wird:

Ein “shooting” ist keine “Schießerei”

Aber wie soll man sonst über den Angriff in Dallas
berichten? Warum Gewalttaten in USA sich so schwer übersetzen lassen.

Von Jörg Häntzschel

Angesichts der Gewalt in den USA versagt beim deutschen Beobachter
nicht nur die Vorstellungskraft, sondern auch die Sprache. Mit
“Schießerei” lässt sich ein shooting wie das von Dallas
jedenfalls nicht übersetzen. Schießerei, das klingt nach Clint Eastwood,
wiehernden Pferden und splitternden Whiskeyflaschen, nach Desperados,
die nichts zu verlieren haben – einem shootout.

Doch die schlimmste Seite der amerikanischen Waffengewalt, das sind die shootings jenseits von Hollywood,
ausgeführt von Leuten, die kühl vorgehen und oft auf Wehrlose zielen.
Und während “Schießerei” eher eine Situation beschreibt, die außer
Kontrolle gerät, ist das Skandalöse an den police shootings ja gerade, dass von einer Eskalation, die den Waffengebrauch rechtfertigen würde, oft keine Rede sein kann.

Auch für den shooter fehlt ein Wort. Der “Schütze” ist
Mitglied im Trachtenverein. Er trägt eine Armbrust, keine
halbautomatische Waffe. Selbst als “Scharfschütze” kommt er, verglichen
mit dem sniper, folkloristisch daher. Er tötet übrigens immer im
offiziellen Auftrag. Dass die Schießkünste eines Killers an die der
staatlich ausgebildeten Scharfschützen heranreichen, ist im Deutschen
nicht vorgesehen.

Nicht einmal für das transitive Verb to shoot gibt es ein
Äquivalent. Im Englischen bleibt erst mal offen, was genau die Kugel
angerichtet hat. Sie hat das Opfer getroffen, Blut fließt – das zählt.
Im Deutschen hingegen muss man, um den Vorgang überhaupt beschreiben zu
können, noch bevor der Pulverdampf verzogen ist, klären, ob das Opfer
erschossen oder “nur” angeschossen wurde. Deshalb behelfen sich deutsche
Synchronisierungen englischsprachiger Filmen gern mit Euphemismen wie
“Ich hab’ ihn erwischt”, wenn es im Original “I shot him” heißt.

Besonders bizarr ist der “Amoklauf”, mit dem man bis vor kurzem immer die school shootings
übersetzte. Damit lassen sich die Tatmotive in eine so unzugängliche
Zone der Täterpsyche verlegen, dass sich die Suche nach rationalen
Erklärungen eigentlich erübrigt. In den USA spricht man in solchen
Fällen auch von mass shootings und mass killings, doch
“Massentötung” ist uns so unheimlich, dass wir sie allenfalls für die
Opfer der Massentierhaltung verwenden. Und “Massenmord”? Darin waren wir
Deutschen mal sehr gut. Wir wollen das Wort am liebsten gar nicht
mehr verwenden.

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