Der letzte noch lebende Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen

Es ist zwar schon wieder eine Woche her, aber es war so viel los, dass ich erst jetzt zum Berichten komme.

Am 21. November 2010 eröffnete das “Memorium Nürnberger Prozesse” im Landgericht Nürnberg, eine Einrichtung der museen der stadt nürnberg, bestehend aus einer umfassend informierenden Dokumentationsausstellung und dem Schwurgerichtssaal. In eben diesem Saal fand am 30. November eine Lesung mit Siegfried Ramler aus dessen Autobiographie statt.

 Siegfried Ramler
Geladen hatte unter anderem auch der BDÜ, aber ich wäre auch so gekommen, denn diese einmalige Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen. Also machte ich mich trotz widriger Witterungsverhältnisse auf den Weg nach Nürnberg. Und die Mühe hat sich wirklich gelohnt! Es war fast schon unwirklich  jemandem zuzuhören, der an einem solch weltbewegendem Ereignis tatsächlich dabei war! Aktiv beteiligt, und zwar vom ersten bis zum letzten Prozess! 
Für meine Generation ist das alles Geschichte, selbst meine Eltern waren noch zu klein, um irgendetwas davon wirklich mitzubekommen, und es scheint einem oft in so weiter Ferne zu sein. Und dann trifft man einen Menschen – spricht mit ihm, gibt ihm die Hand (bekommt ein Autogramm!) – der dabei war, für den das ein Teil seines Lebens ist! Wirklich eine wunderbare Gelegenheit, v.a. als Übersetzer und Dolmetscher!
Herr Ramler hat seine Memoiren auf Englisch verfasst – die Sprache, mit der er die letzten 70 Jahre täglich gelebt hat -, erzählt hat er aber auf deutsch. Und das war meiner Meinung nach nach so langer Zeit erstaunlich gut. Klar fehlten im manchmal die Worte, oder er erwischte das fast-richtige. aber verstanden hat man ihn wunderbar, und auch, dass er eigentlich Österreicher ist, war nicht zu überhören!
Die Fragezeit war leider etwas kurz, aber ich wurde meine Frage beim anschließenden Signieren trotzdem los: Wieso außer ihm sonst keiner bis zum letzten Prozess als Dolmetscher durchgehalten hat? Wie das mit dem psychischen Stress war? Seine Antwort: Er war mit der jüngste Dolmetscher (22), die meisten anderen waren schon älter, im Ruhestand etc.
Er ist mit seinen fast 90 Jahren auf jeden Fall erstaunlich fit und munter, und ich wünsche ihm, dass er noch viele gesunde und produktive Jahre vor sich hat – und endlich auch mal Zeit für sich findet!

Das Buch ist beim Martin Meidenbauer Verlag erschienen.

Nachtrag:

Von meiner Mutter habe ich eben erfahren, dass eine Cousine meiner Großmutter während der Nürnberger Prozesse als Sekretärin gearbeitet hat. Leider ist sie schon vor ein paar Jahren gestorben – wieso erfährt man sowas immer erst, wenn es zu spät ist? Die Generation, die das alles noch gelebt und erlebt hat, geht langsam von uns, und nimmt ihr Wissen leider viel zu oft mit ins Grab…

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